Presse-Aussendung vom 07.06.2000

Konfrontation statt Bürgerbeteiligung

Droht ein Wiederaufflammen von Umweltkonflikten?

Das Österreichische Ökologie-Institut für angewandte Umweltforschung hat den Welt-Umwelttag zum Anlass genommen, die umweltpolitisch relevanten Vorhaben der neuen Bundesregierung unter die Lupe zu nehmen. Das Ergebnis, so die ernüchternde Analyse der unabhängigen Wissenschafter: Die in den letzten Jahren erreichten Fortschritte in Richtung einer konsensualen Austragung von Umweltkonflikten drohen einer Politik zum Opfer zu fallen, die auf vollendete Tatsachen setzt und damit neuerliche Konfrontationen provozieren wird. Auch der Wirtschaft werde damit die Motivation genommen, eine ökologisch nachhaltige Produktionsweise zu verfolgen.
Vor allem die Reduktion der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) auf Infrastruktur-Großprojekte bedeute einen "Rückschritt in die Siebziger Jahre", so Institutsleiterin Antonia WENISCH. Sämtliche Industrieanla-gen sowie alle Straßenbauten unter zehn Kilometer Länge sollen künftig in einem vereinfachten Verfahren ohne Bürgerbeteiligung abgehandelt werden. Das bedeute den Verlust der Parteienstellung von Bürgerinitiativen, die in der Vergangenheit zu einer Befriedung von Konfliktherden und zu wesentlichen technologischen Verbesserungen geführt habe.
Damit sei nicht nur das soziale Klima, sondern auch der Standort Österreich als ökologischer Vorreiter in Europa gefährdet, so Wenisch, die auch die Kompetenzverschiebung der Atompolitik vom Bundeskanzleramt ins Landwirtschaftsministerium mit gemischten Gefühlen betrachtet: "Im Ausland macht das gar keinen guten Eindruck. Unsere Partner in Osteuropa haben das Gefühl, man nehme das mit der Anti-Atompolitik nun nicht mehr so ernst."
Auch die Stellung als Knotenpunkt der Transeuropäischen Netze werde aufs Spiel gesetzt, warnt Verkehrsexperte Robert KORAB: "Nachdem in den Verkehrskonzepten der letzten Jahre endlich die Schiene im Vordergrund stand, hat man jetzt den Eindruck eines parteipolitisch motivierten Kahlschlags wider jede Vernunft."
Hochrangige Bahnprojekte, mit deren Bau teilweise schon begonnen worden sei, würden einfach zugedreht, um Budgetlöcher zu stopfen oder Wahlgeschenke zu finanzieren. "Besonders dramatisch ist diese Zerschlagungspolitik vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Schienen-Güterverkehr in den letzten Jahren einen wahren Boom erlebt hat."
Verdächtig sei dabei auch, dass im Vorfeld der geplanten Privatisierung der ÖBB deren Stellung am europäischen Markt in Gefahr gebracht werde: "Weitgehend unbemerkt von der Bevölkerung wird hier öffentli-ches Eigentum an Private verscherbelt, das vorher sehenden Auges wertlos gemacht wurde", wundert sich Korab, der an die Privatisierung der Bahn in Großbritannien unter Margaret Thatcher erinnert, die zu einer deutlichen Ausdünnung des Angebots und Qualitätseinbußen im Schienenverkehr geführt habe.
"Es ist keine Frage, dass sowohl im Gewerberecht als auch im Bereich der Verkehrsinfrastruktur großer Reformbedarf besteht", sind sich die Ökologie-Instituts-Experten einig. "Das darf aber nicht dazu führen, dass nun auf Kosten von Umwelt und Bürgerrechten weit übers Ziel hinaus geschossen wird, um einer kleinen Gruppe Wirtschaftstreibender Genüge zu tun."

Presseaussendung 7. Juni 2000