Presse-Aussendung vom 08.01.2003
Der Informationsgesellschaft die Richtung weisen
Internationales Expertensymposium SISA 2002 in Wien sucht Wege, die Risiken der Informationsgesellschaft in Chancen zu verwandeln
Ob Handy, Computer oder Internet: Die neuen Medien und Technologien sind die Triebfeder der wirtschaftlichen Entwicklung und aus unserem Alltag nicht mehr weg zu denken. Bits und Bytes sind auf den ersten Blick sparsam und "sauber": Sie erlauben enorme Effizienzgewinne und sie ermöglichen mehr Menschen als bisher den Zugang zum Kapital der Zukunft: dem Wissen.
Aber der erste Blick trügt. Wie "nachhaltig" ist die Informationsgesellschaft wirklich? Mit dieser Frage setzte sich ein prominent besetztes Expertensymposium in Wien September 2002 auseinander. <SISA 2002> wurde vom Österreichischen Ökologie-Institut mit Unterstützung des Lebensministeriums (BMLFUW) und der Telekom Austria veranstaltet.
Auf den ersten Blick sind die Fakten auch reichlich ernüchternd: Trotz der Vision vom "papierlosen Büro" verbrauchen wir mehr Papier als je zuvor: Auf jeden Amerikaner kommen mittlerweile 337 kg bedrucktes Papier im Jahr, auf jeden Europäer 197 kg. Seit 1991 hat der weltweite Papierverbrauch um ein Drittel zugenommen. Neue Technologien beschleunigten den Wirtschaftskreislauf, und das beschleunige auch den Verbrauch natürlicher Ressourcen, sagt Petra OSWALD vom österreichischen Ökologie-Institut: "Der Schlüssel liegt nicht so sehr in der Technologie, sondern wie wir mit ihr umgehen: Die Digitalisierung unseres Alltags hat bis jetzt zu keinem umweltschonenderem Lebensstil beigetragen. Die Informationstechnologien hätten aber das Potenzial dafür".
Auch im sozialen Bereich fährt der Zug derzeit in die falsche Richtung: Obwohl mehr Wissen als zuvor allgemein zugänglich ist, wächst die "digitale Kluft" innerhalb der Bevölkerung: "Die Chancen eines Menschen werden immer mehr von seinem Zugang zu Wissen und Information bestimmt, und dieses Wissen wird zunehmend privatisiert", sagt Studienautorin Petra OSWALD vom Ökologie-Institut. Entlegene Regionen, Frauen, ärmere und ältere Menschen konnten bis jetzt von der digitalen Revolution nur wenig profitieren. Digitale Amtswege und das Arbeitsamt im Cyberspace steigerten die Chancen für das Drittel "Vernetzter" in Österreich, die anderen zwei Drittel blieben zurück. Weltweit verfügen überhaupt nur 6% der Menschen über einen Internet-Zugang.
Informationsgesellschaft 2002: Stark, aber blind
Die Hauptursache für diese Probleme sieht Technologie-Experte Prof. Dr. Uwe SCHNEIDEWIND von der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg darin, dass die Informationsgesellschaft für ihre eigene Entwicklung blind ist: "Die Informationsgesellschaft ist eine rasend schnell entstehende neue ökonomische und gesellschaftliche Wirklichkeit, aber sie hat kein Leitbild", sagt SCHNEIDEWIND.
"Wenn eine Gesellschaft blind ist, dann werden ihre Chancen ganz schnell zu Risiken", beschreibt Dr. Thomas SCHAUER, Wissenschafter am Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW) in Ulm, den sogenannten Bumerang-Effekt: Effizienzsteigerungen würden nicht in Richtung einer Nachhaltigen Entwicklung genutzt, sondern für das Gegenteil: Schnellere, effizientere Computer verbrauchten mehr Strom und würden schneller durch neuere Computer ersetzt. "Die Unternehmen, die uns die virtuelle Welt versprechen, gehören leider auch zu den ärgsten Verschmutzern der realen Welt", sagt SCHAUER.
SCHNEIDEWIND kritisiert die vielfach verkürzte Diskussion über die Folgen der Informationstechnologien: "Nicht die vordergründigen direkten Effekte wie Energieverbrauch oder Elektronikschrott sind die großen Wirkungen der neuen Technologien, sondern die indirekten Effekte, also die Veränderung von Verbrauchergewohnheiten, der Organisation von Wertschöpfungsketten und der sozio-politischen Organisation".
Damit sich Österreich zu einer nachhaltigen Informationsgesellschaft entwickeln kann, brauchen die neuen Technologien eine Richtung, in die sie sich entwickeln können: "In der Produktion von Gütern haben wir schon viele Beispiele", sagt Petra OSWALD vom Ökologie-Institut: Modulare, veränderbare Geräte mit wiederverwertbaren Komponenten nach dem KISS-Prinzip (keep it smart and simple) sparten nicht nur Ressourcen, sondern seien auch näher am Benutzer und seinen Bedürfnissen. Was jedoch noch fehle, sei ein Gesamtbild einer Nachhaltigen Informationsgesellschaft: "Hier stehen wir erst ganz am Anfang", sagt Petra OSWALD.
Informationsgesellschaft 2020: Zwei Wege zur Nachhaltigkeit
Für IT-Experten Thomas SCHAUER vom FAW Ulm führen zwei Wege zu einer solchen Nachhaltigen Informationsgesellschaft: Zum einen brauche es veränderte Rahmenbedingungen: "Die Sozialabgaben in Deutschland haben in den letzten 26 Jahren um zwei Drittel zugelegt (gemessen am Ausgangswert 1970). Die Besteuerung von Kapital ist im gleichen Zeitraum um mehr als die Hälfte gefallen, und die Besteuerung von Naturverbrauch hat um ein Drittel nachgegeben", zitiert Thomas SCHAUER. Unter solchen Bedingungen könne die Informationsgesellschaft weder ökologisch noch sozial nachhaltig werden.
Zum anderen brauche es einen Bewusstseinswandel in Unternehmen und der Bevölkerung, aber auch das sei enorm schwierig: "Das Umweltbewusstsein bei den Leuten ist ja sehr hoch, aber es drückt sich selten in konkreten Taten aus", sagt Thomas SCHAUER: "80% der Deutschen behaupteten, sie hätten bewusst zum Schutz der Umwelt beigetragen, aber 74% von ihnen haben ihren letzten Urlaub mit dem Auto oder dem Flugzeug angetreten". Ähnliche Untersuchungen gibt es aus dem Unternehmensbereich: 65% der deutschen Unternehmer behaupteten, Umweltthemen seien wichtig oder sehr wichtig für ihr Unternehmen, aber 79% von ihnen unternehmen nichts, um die Umweltauswirkungen ihres Handelns zu messen oder zu steuern.
Österreichs Weg zu einer Nachhaltigen Informationsgesellschaft
<SISA 2002> ist der Startschuss zu einem mehrjährigen Dialog unter Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik, dem Sozialbereich, sowie Wissenschaft und Forschung, um die Chancen einer Nachhaltigen Informationsgesellschaft für den Standort Österreich auszuloten: Gemeinsam wird entwickelt, welche Marktchancen für Unternehmen, welche sozialen Chancen für die Gesellschaft möglich sind, und welche politischen Rahmenbedingungen es braucht, um Informationstechnologien mit der österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie in Einklang zu bringen. "Eine nachhaltige Informationsgesellschaft ist gestaltbar. Nicht nur der Staat, sondern auch die Untenehmen und Nichtregierungsorganisationen sind dabei gefordert", sagt Uwe SCHNEIDEWIND zu <SISA 2002>.