Presse-Aussendung vom 28.12.2001
Neue Aufgaben für Österreichs Bauern
Was bringt die Osterweiterung?
Informationen zum Jahrespressegespräch des Ökologie-Instituts am 18. 12. 2001
Vom Feinkost- zum Gemischtwarenanbieter
In Österreich liegen viele landwirtschaftliche Flächen in strukturell und topographisch benachteiligten Gebieten. In diesen reicht der klassische Produktionsauftrag nicht mehr aus, um die Landwirtschaft aufrecht zu erhalten. Bereits jetzt wird das Durchschnittseinkommen österreichischer Bauern zu 64,2 Prozent durch Förderprogramme sichergestellt, wobei in Regionen wie dem Waldviertel Werte bis 75 Prozent erreicht werden. Das bedeutet, dass das Einkommen der Bauern vom Steuerzahler mehr als verdoppelt wird.
Seit Mitte der 80er-Jahre wird versucht, "neue gesellschaftliche Aufgaben" für die Landwirtschaft zu formulieren und politisch umzusetzen. Beispiele sind der Umweltschutz, die Kulturlandschaftspflege oder die Aufrechterhaltung der Infrastruktur im ländlichen Raum (z. B. kommunale Dienstleistungen wie Schneeräumung). Diese Aufgaben unterscheiden sich deutlich von der Massenproduktion für europäische oder globale Märkte. Sie können nur spezifisch für einzelne Regionen entworfen werden und lassen sich nur in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung umsetzen.
Hierfür gibt es in Österreich bereits zahlreiche Beispielprojekte. Was fehlt, ist die Formulierung eines systematischen und ökonomisch tragfähigen Ansatzes, um die Landwirtschaft mit den neuen gesellschaftlichen Ansprüchen an die Landnutzung in Einklang zu bringen. Voraussetzung dafür ist die Abkehr von der bislang praktizierten Wachstumslandwirtschaft. Die landwirtschaftlichen Verbände und Organisationen sind gefordert, die neuen Möglichkeiten der Landwirtschaft als Chance zu erkennen, anstatt sie zu verhindern. Nur mit breiter Unterstützung kann aus der Landwirtschaft eine Anbieterin vielfältiger Leistungen werden, die das Konzept des "Feinkostladens Österreich" in Richtung eines integrativ agierenden Gemischtwarenanbieters weiterentwickelt.
Martin Geser ist Experte für Landwirtschaft im Ökologie-Institut Bregenz und Landwirt in Egg, im Bregenzer Wald.
Landwirtschaft und Regionalentwicklung in Zeiten der Osterweiterung
Wenn schon bei den aktuellen Verhandlungskapiteln zur Erweiterung der Europäischen Union wie Energie und Verkehr "hitzige Diskussionen" zur Tagesordnung gehören, so ist das lediglich ein Vorgeschmack auf das, was in den kommenden Monaten passieren wird. Der Erweiterungsprozess tritt in seine entscheidende Phase: Es geht um die vollkommene Neuverteilung der Agrarförderung und regionalpolitischen Mittel. Für Österreich wird dies über kurz oder lang zu einer Verringerung der von Brüssel bereit gestellten Mittel führen.
Aus EU-Perspektive bringt die Erweiterung in erster Linie marktwirtschaftliche Vorteile: Der europäische Binnenmarkt wird auf mehr als 500 Millionen Konsumenten vergrößert und durch die "Übernahme" der mittelosteuropäischen Agrarwirtschaft wird die EU am Weltmarkt wettbewerbsfähiger werden.
Die Konsequenzen für den "Feinkostladen Österreich" können ganz und gar nicht optimistisch beurteilt werden - ein Greißlersterben droht. "Österreich muss mit seiner kleinstrukturierten Landwirtschaft im Zuge der Beitrittsverhandlungen darauf aufpassen, nicht ein "Bauernopfer" im wahrsten Sinne des Wortes zu werden!" meint Robert Lechner.
Die österreichische Landwirtschaft ist auf die Zuweisung von öffentlichen Mitteln für ihre Leistungen mehr als angewiesen. Jede Reduktion der Fördermittel würde insbesondere im Alpenraum zur Schließung zahlreicher landwirtschaftlicher Betriebe führen. Das kann nicht das Ziel einer auf Vielfalt bedachten Agrar- und Regionalpolitik Österreichs sein. Lechner tritt in diesem Zusammenhang für eine Neuorientierung der Agrarpolitik in Österreich ein: "Die zentrale Frage, die wir uns hier stellen müssen, lautet: Wollen wir die Landschaft, wie sie sich heute zeigt? Wenn ja, dann brauchen wir auch unsere Landwirte. Aber: Reden wir zuerst über die Landschaft, die wir wollen und erst danach über die Landwirte, die wir brauchen."
Diese Kernfrage betrifft Österreich nicht alleine. Die Frage nach der Landschaft, die wir wollen, muss auf europäischer Ebene gestellt werden und im Zuge der Beitrittsverhandlungen zur Agrar- und Regionalpolitik umfassend behandelt werden. Österreichs Kernpositionen im europäischen Dialog sollen folgende Schwerpunkte beinhalten:
- Erhaltung einer kleinstrukturierten Landwirtschaft
- Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Leistungen der Landwirte bei der Zuerkennung von Fördermitteln
- Umschichtung der Mittel für Marktordnungsmaßnahmen (derzeit 90 Prozent) des EU-Agrarbudgets zu regionalpolitischen Maßnahmen (derzeit rund 10 %)
- Konzentration auf Qualitätsverbesserung und umweltschonende Landwirtschaft
- Und bei all diesen Forderungen: Nötigenfalls die Erhöhung der erlaubten nationalen Fördermittel bei gleichzeitiger Vorlage entsprechender nationaler Impulsprogramme für die Landwirtschaft
Um absehbaren Einkommensausfällen für die österreichische Landwirtschaft ab dem Jahr 2006 wirksam entgegen treten zu können, wünscht sich Robert Lechner den Beginn einer ehrgeizigen Initiative: "Das Motto muss lauten: 120 Prozent. 120 Prozent Produktqualität, 120 Prozent Innovation und 120 Prozent Öffnung der Landwirtschaft zu nichtlandwirtschaftlichen Fragestellungen gegenüber den heutigen Standards."
Robert Lechner ist Leiter des Arbeitsbereichs Planung im Ökologie-Institut Wien und beschäftigt sich mit Fragen der Regionalentwicklung und der Osterweiterung.