Presse-Aussendung vom 20.06.2001

Morgenluft für Kernspalter

Das neue amerikanische Energiekonzept setzt auf Atom

Wäscheleinen sind selten in Kalifornien. Auch bei idealen Temperaturen trocknet niemand die Wäsche im Garten. Warum auch? Die Nachbarn könnten ja glauben, man könne sich keinen Trockner leisten. Ein untragbarer Zustand für den Durchschnittsamerikaner. Und ein Klischee, das leider in großem Maß zutrifft.
Über Jahrzehnte hinweg haben niedrige Energiepreise sichergestellt, dass Amerikaner es nach wie vor als ein Zeichen von Wohlstand sehen, Energie und Rohstoffe zu verschwenden. Doch nun, da die Öl- und Gaspreise steigen und die Energieversorgung ins Wanken gerät, sind neue Maßnahmen gefragt. Zum Beispiel ein Energiesparprogramm. Oder ein gezielterer Einsatz von Ressourcen. Von all dem will die neue US-Regierung jedoch nichts wissen. Das eben veröffentlichte Energiekonzept verfolgt konsequent den Grundsatz, dass dem steigenden Verbrauch mit einer Produktionserhöhung geantwortet werden muss. Eine Drosselung des Verbrauchs, und sei es durch Energiesparlampen, wird gleich gar nicht diskutiert. Kein Wunder, dass die klassischen Energiequellen, Atomkraft und Erdöl, auch den Schwerpunkt des Energiekonzepts bilden. Eine Ohrfeige für jegliche Klimaschutzabkommen.

Verschwendung als Prinzip

Das Energiekonzept lechzt bereits in den Prognosen nach zügellosem Wachstum: Größere Mengen (30 Prozent mehr Öl, 50 Prozent mehr Gas und 45 Prozent mehr Strom) sollen den US-Nutzern in 20 Jahren zur Verfügung stehen, selbstverständlich zu niedrigen Preisen. Innerhalb der nächsten 20 Jahre sollen 1300 bis 1900 neue Kraftwerke ans Netz. Um das zu erreichen, müsste jede Woche zumindest ein neues Kraftwerk errichtet werden.
Derzeit kommen 20 Prozent des Stroms aus 103 amerikanischen Atomkraftwerken. Auch wenn infolge des AKW-Unfalls in Harrisburg 30 Jahre lang kein einziges Atomkraftwerk in Auftrag gegeben wurde - jetzt soll damit Schluss sein. Atomkraft soll wieder ausgebaut werden. In den letzten Jahren haben neue Kraftwerkstypen (sogenannte "fortgeschrittene Reaktoren") eine Typengenehmigung erhalten, obwohl es noch gar keine Prototypen dafür gibt. Das Mitspracherecht für Bürgerinitiativen wurde geschickt umgangen. Diese eigenwillige Form der Gesetzgebung führt dazu, dass für die Baubewilligung neuer Kraftwerke nur noch die Standortgenehmigungen ausstehen. Dem nicht genug, stehen auch Kapazitätserhöhungen bei bestehenden Reaktoren am Programm.

RISIKO

Auch in den heftig beworbenen "neuen" Reaktoren sind schwere Unfälle nicht auszuschließen. Die errechnete Eintrittswahrscheinlichkeit ist kleiner als 1 zu 1 Million, heißt es. Demnach ist bei 100 Reaktoren alle 10.000 Jahre mit einem Unfall zu rechnen. Doch diese Art von Zahlenakrobatik ist irreführend. Wahrscheinlichkeitsberechnungen eignen sich vielleicht, um Versicherungsprämien zu berechnen, aber nicht für eine Einschätzung, in wie weit die Gefahr eines Atomunfalls "vertretbar" ist. Das zeigt sich allein schon daran, dass keine Versicherung bereit ist, die gesamten Folgekosten eines Unfalls zu übernehmen.
Während Atomgegner gegen die neuen US-Pläne Druck machen, macht sich einer überhaupt keine Sorgen: Der italienische Nobelpreisträger Carlo Rubbia, unlängst in Wien auf Besuch, glaubt das absolut sichere Reaktorkonzept gefunden zu haben.
Der Rubbia-Reaktor ist zur Hälfte Teilchenbeschleuniger, zur Hälfte Reaktor. Das neue Modell setzt dort an, wo Atombefürworter in der Regel mit ihrem Latein am Ende sind. Der Rubbia-Reaktor soll nämlich den Brennstoffabfall aus herkömmlichen Reaktoren weiter verbrennen können. Weil der Reaktor nicht auf einer selbständigen Kettenreaktion beruht, sei er schneller abzuschalten und daher absolut sicher. Die Argumente reichen jedoch nicht aus. Schnell abschalten lassen sich nämlich auch landläufige Atomkraftwerke - das wird uns zumindest von ihren Betreibern versichert. Die Nachzerfallswärme ist das entscheidende Sicherheitsproblem. Auch wenn die Kettenreaktion gestoppt ist, sorgt der radioaktive Zerfall der Spaltprodukte dafür, dass sich der Reaktorkern aufheizt. Ein Problem, für das die Lösung noch aussteht.

ATOMMÜLL
Rubbias Entwicklung kommt der Atomlobby gerade recht. In 40 Jahren ist es den Atomtechnikern nicht gelungen, das Atommüllproblem zufriedenstellend zu lösen. Jetzt verspricht Rubbia mit seinem Reaktor den hochaktiven langlebigen Atommüll in Stoffe zu verwandeln, die gar kein Endlager erfordern würden. Man bräuchte den abgebrannten Brennstoff aus den bestehenden AKWs nur in seinem Reaktor nochmals zu verbrennen, und könnte so beim "Entsorgen des Atommülls" auch noch Energie erzeugen.
Auch die Experten des tschechischen Wirtschaftsministeriums, sind von dieser Aussicht begeistert. Wie die abgebrannten Brennstäbe des AKWs Temelin gelagert werden sollen, wollen sie im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung gleich gar nicht diskutieren, weil es sich dabei ja nicht um Abfall, sondern um potenziellen Rohstoff handle. In dieser nuklearen Euphorie wird nur ungern erwähnt, dass die technische Umsetzung des Rubbia-Reaktors erst ganz am Anfang steht. Außerdem muss der Brennstoff chemisch aufbereitet werden, ganz egal ob Thorium aus der Mine oder Plutonium aus Kernkraftwerken oder Atombomben zum Einsatz kommt. Und die bestehenden Wiederaufbereitungsanlagen sind nicht gerade für ihren sorgsamen Umgang mit der Umwelt bekannt. Aus den Abwasserrohren von Sellafield und La Hague fließt immer wieder radioaktives Material ins Meer und aus den Schornsteinen entweichen große Mengen radioaktiver Edelgase.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass sich keinesfalls alle gefährlichen Spaltprodukte aus der Welt schaffen lassen. Gefährliche radioaktive Stoffe wie Cäsium-137 oder Strontium-90 lassen sich auch im Rubbia-Reaktor nicht entschärfen und müssen endgelagert werden (wenn auch nur für einige hundert und nicht für hunderttausende Jahre).

NACHHALTIGKEIT
Wie eh und je ist klar, dass die Kernenergie nichts für eine nachhaltige Entwicklung beitragen kann. Auch wenn im Detail Verbesserungen vollzogen werden: Bei Berücksichtigung des gesamten Prozesses, vom Abbau bis zum Atommüll-Endlager, kann niemand die Gefahr eines Atomunfalls ausschließen.
Unter Klimaexperten herrscht daher weitgehend Einigkeit, dass die Klimaschutzziele am besten durch erhöhte Energieeffizienz und verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien erreicht werden. Selbst die frühere tschechische Regierung verfolgte ein innovatives Energiekonzept, das im Rahmen einer strategischen Umweltprüfung zwischen 1996 und 1998 erstellt wurde. Aus kurzsichtig ökonomischen Gründen verwarf die jetzige Regierung das "Öko-Szenario" ihrer Vorgänger: Statt in Energieeffizienz wurde in das AKW Temelin investiert.
Hier zeigt sich der kurze Zeithorizont der Politik von seiner schlimmsten Seite. Denn nahezu alle einschlägigen Szenarien belegen, dass sich ein Atomausstieg auf lange Sicht rechnen würde. Nicht einmal 1.000 Schilling jährlich würde der Atomausstieg jedem Bürger Deutschlands kosten, sogar bei gleichzeitiger Einhaltung der Klimaschutzziele, so das renommierte Wuppertal-Institut. Die höheren Anfangsinvestitionen durch die massive Förderung erneuerbarer Energien amortisieren sich nach spätestens 15 Jahren. Dabei entstehen auch zahlreiche hochwertige Arbeitsplätze. Angesichts der Fülle an Argumenten ist es unverständlich, dass sich selbst das Anti-Atomland Österreich mit einer konsequenten Förderung erneuerbarer Energien so schwer tut. Wenn sich im Zuge der Strommarktliberalisierung internationale Großkonzerne in Österreichs Stromwirtschaft einkaufen, die ihren Saft aus Kernkraftwerken beziehen, bleibt die Verantwortung letzten Endes beim bewussten Konsumenten. Zum Glück ist schon jetzt der Umstieg auf Ökostrom möglich, noch bevor man von den windigen Angeboten der neuen Anbieter überrollt wird.

Autoren: Antonia Wenisch und Bernhard Huber

Der Artikel ist am 20. Juni 2001 in der Zeitschrift "Die Furche" erschienen.

Morgenluft für Kernspalter